Maia Brami, Camerata Zürich & Igor Karsko - Leoš Janáček: On An Overgrown Path

Review Maia Brami, Camerata Zürich & Igor Karsko - Leoš Janáček: On An Overgrown Path

Das Hauptwerk auf diesem Janáček Album bildet der Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“. Allerdings bekommt man auf der ECM-Produktion nicht die originale Klavierversion zu hören, sondern eine von Daniel Rumler erstellte Bearbeitung für Kammerorchester. Daniel Rumler gehört zur Gruppe erster Geiger der Camerata Zürich, die auf diesem Album unter der Leitung ihres Konzertmeisters Igor Karsko dieses Album eingespielt hat. Das Janáček Werk wird flankiert von den “Meditation über den altböhmischen Choral ‚St. Wenzels‘“ von Josef Suk und dem „Notturno in B-Dur, Opus 40“ von Antonín Dvořák. Das für Streichorchester besetzte „Notturno“ bildete ursprünglich den zweiten langsamen Satz im Streichquintett Nr. 2 des Komponisten.

Als die Meditation entstand, war Josef Suk zweiter Geiger des böhmische Streichquartetts, dessen Konzerte, wie damals üblich, mit der der österreichischen Kaiserhymne zu beginnen hatten. Als Protest gegen diese Vorschrift entschloss sich Josef Suk, die Kaiserhymne durch eine Meditation über den St. Wenzels-Choral, einem altböhmischen geistlichen Lied zu ergänzen. Die Botschaft des Chorals mit der Bitte um das Wohl des tschechischen Volkes an den Nationalheiligen richtet, war dem Publikum sofort verständlich.

Ebenso wie die „Meditation“ von Suk gründet das „Notturno“ von Dvořák auf böhmischer Volksmusik. Beide Werke bilden also einen passenden Rahmen für den Klavierzyklus von Janáček, der hier wie auch in seinen übrigen Werken dem Kolorit heimatlicher huldigt.

Als viertes Werk folgen auf dem Album unmittelbar nach der Bearbeitung von Janáčeks „Auf verwachsenem Pfad“ und vor dem „Notturno“ gleichnamige Gedichte der französischen Schriftstellerin Maïa Brami, die diese exklusiv für das Musikwerk verfasst hat und selbst rezitiert. Wir haben es also angesichts der vier Werke auf diesem Album um ein erfreulicherweise mit großem Bedacht sinnreich zusammengestellten Album zu tun.

Der Klavierzyklus „Auf verwachsenem Pfade“ trägt autobiographischen Charakter. Als 1903 seine über alles geliebte Tochter Olga starb, versank der Vater in tiefe Resignation. In dem Zyklus beschreibt Janáček die Wege, die er an ihrer Seite gegangen war, als einen von Gras überwachsenen Pfad: ”Verwachsen von zartkleinem Klee ist mir zum Mütterchen der Pfad” heißt es in einem mährischen Hochzeitslied. Janáček entlehnte dieses Bild der Volksdichtung. Die Titel der Stücke beschreiben, wie der Vater in Gedanken immer wieder um die Erinnerungen an sein verlorenes Kind kreiste – Erinnerungen, die ihm so lieb waren, dass sie “glaube ich, niemals enden werden”, wie er bekannte: “Das Maß der dabei erlebten Leiden ist größer, als Worte zu sagen vermögen”. Also kleidete er jene schmerzlichen Erinnerungsbilder in Klavierzeichnungen von zarter Melancholie und feinster Linienführung.

Die von Daniel Rumler erstellte Bearbeitung für Kammerorchester überhöht die originale Version für Klavier durch die größere Farbenvielfalt und Transparenz, über die ein Streichorchester wie die Camerata Zürich naturgemäß verfügt. Die Bearbeitung ist ganz vorzüglich gelungen und erlaubt eine neue Sicht auf die Komposition, die den Hörer emotional mindestens so mitnimmt wie die Klavierversion. Die Camerata Zürich unter ihrem Leiter Igor Karsko erweist sich als optimales Medium zur Darstellung des Leids, das Leoš Janáček durch den Verlust seiner Tochter in sein Werk „Auf verwachsenem Pfade“ komponiert hat. Die Werke seiner Landsleute, die das Hauptwerk des Albums umrahmen, erfahren eine gleichermaßen liebevolle, idiomatische Wiedergabe und die von der Autorin selbst rezitierte Dichtung setzt das Thema des Janáček Werks „Auf verwachsenem Pfade“ mit den Mitteln der Poesie beeindruckend fort.

Maïa Brami, Sprecher
Camerata Zürich
Igor Karsko, Leitung, Violine

Maia Brami, Camerata Zürich & Igor Karsko - Leoš Janáček: On An Overgrown Path

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